Gespräche über eine Verständigung führen zu einer schwierigen Rechtslage

Das Oberlandesgericht Naumburg hat entschieden, dass ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, dem Angeklagten also ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn eine Verständigung im Sinne von § 257 c StPO zustande kommen soll. Dieser Umstand führe zu einer schwierigen Rechtslage im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO, denn bei der Erörterung einer solchen Verfahrensweise könne sich ein Angeklagter in der Regel nicht wirksam selbst verteidigen.

Das OLG führt in seiner Entscheidung (OLG Naumburg, Beschl. v. 04.12.2013 – 2 Ss 151/13) dazu aus:

[…] Das Urteil beruhte auf einer Verständigung im Sinne von § 257 c StPO, was die Rechtslage schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO macht, weil ein Angeklagter sich bei der Erörterung einer solchen Verfahrensweise in der Regel nicht selbst wirksam verteidigen kann.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.03.2013 (2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 NJW 2013, 1058) und zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs […] zeigen überdeutlich, dass die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften, die die strafprozessuale Verständigung regeln, selbst für Berufsrichter äußerst kompliziert und fehleranfällig ist. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass ein Angeklagter, der nicht Volljurist ist, seine Rechte im Rahmen des undurchsichtigen Verfahrens, das einer Verständigung vorauszugehen hat, ohne juristischen Beistand erkennen und somit wahrnehmen kann. Deshalb ist bereits die Erörterung einer Verständigung regelmäßig Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2StPO.

Dies gilt auch, wenn – wie hier — ein auf einer Verständigung beruhendes Urteil aufgehoben worden ist. Denn der Angeklagte bedarf zur sachgerechten Vorbereitung seiner Verteidigung bereits vor Beginn der neuen Hauptverhandlung einer Belehrung, welche Bedeutung seine im Rahmen der Verständigung abgegebene Erklärung für das weitere Verfahren haben kann.

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Pflichtverteidiger bei drohendem Bewährungswiderruf

Das OLG Saarbrücken hat in einem Beschluss vom 24.4.2007, der die Verfahren Ss 25/2007 (28/07) und Ss 25/07 (28/07) betrifft entschieden, dass bei einer Gesamtstraferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwere der Tat gemäß § 140 Abs. 2 StPO in der Regel geboten ist. Für die Frage, ob ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, ist auch der drohende Widerruf der Strafaussetzung in einer anderen Sache zu berücksichtigen.

Das Oberlandesgericht begründet seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

1. […]

a) Gemäß § 140 Abs. 2 StPO bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Die Bestellung des Verteidigers liegt dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden.

Im vorliegenden Fall hätte der erkennende Strafrichter spätestens im Termin zur Hauptverhandlung – ungeachtet der zuvor von dem früheren Verteidiger erklärten Mandatsniederlegung und unabhängig von einem Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers – einen Verteidiger wegen der Schwere der Tat i.S. des § 140 Abs. 2 StPO beiordnen müssen. Das Unterlassen dieser Bestellung war rechtsfehlerhaft und hielt sich nicht mehr im Rahmen des dem Strafrichter eingeräumten Ermessensspielraums.

b) Eine Tat ist schwer, wenn die zu erwartende Rechtsfolge einschneidend ist (BGHSt 6, 199). Die ist u.a. der Fall, wenn eine längere Freiheitsstrafe droht. Welche Straferwartung für sich alleine betrachtet eine Tat als schwer kennzeichnet, wurde in der Vergangenheit durchaus unterschiedlich beurteilt. Die früher uneinheitliche Rechtsprechung hat sich aber mittlerweile dahin verfestigt, dies bei einer Straferwartung um ein Jahr Freiheitsstrafe selbst dann anzunehmen, wenn die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird (vgl. BayObLG NStZ 1990, 142; OLG Brandenburg StV 2000, 607; OLG Braunschweig StV 1996, 6; OLG Celle StV 1991, 151; VRS 110, 139; OLG Frankfurt StV 1998, 326; 2001, 106; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 78; 2001, 107; KG StV 1998, 325; 1990, 298; OLG Karlsruhe NStZ 1991, 505; OLG Koblenz StV 1993, 461; StraFo 2006, 285; Senatsbeschluss vom 5. November 2001 – Ss 62/01 – ; s.a. KK-Laufhütte, StPO, 5. A., § 140 Rn. 21).

Die von dem Amtsgericht verhängte Freiheitsstrafe lag zwar mit 6 Monaten deutlich unterhalb dieser Strafhöhe. Die Höhe der Strafe bildet indes keine starre Grenze. Es bedarf vielmehr einer wertenden Gesamtbetrachtung, in die nach ständiger, vom Senat geteilter Rechtsprechung auch schwerwiegende mittelbare Nachteile, wie etwa der drohende Bewährungswiderruf in anderer Sache mit einzubeziehen sind (vgl. z.B. BayObLG NJW 1995, 2738; OLG Brandenburg NJW 2003, 521; OLG Düsseldorf VRS 89, 367; OLG Hamm VRS 100, 307; OLG Karlsruhe NStZ 1991, 505; OLG Koblenz, StraFo 2006, 285; OLG Köln StV 1993, 402; OLG Oldenburg NStZ-RR 2005, 318; Senatsbeschlüsse vom 5. November 2001 – Ss 62/01 – und 1. August 2002 – Ss 43/02 -).

c) Vorliegend droht dem Angeklagten ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils – ohne dass sich das Gericht allerdings, was geboten gewesen wäre, mit dieser Tatsache im Rahmen der Strafzumessung auseinandergesetzt hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Juli 2006 – Ss 25/2006 – m.w.N.) – der Bewährungswiderruf in dem Verfahren 43 VRs 66 Js 417/05. In jenem Verfahren war der Angeklagte am 14. Juli 2005 von dem Amtsgericht Lebach wegen einer am 31. Dezember 2004 begangenen fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung für die Dauer von 4 Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden war.

Da der Widerruf der in jenem Verfahren angeordneten Strafaussetzung u.a. davon abhängt, ob der Angeklagte im hiesigen Verfahren zu einer Freiheitsstrafe mit oder ohne Bewährung verurteilt wird, ist die im hiesigen Verfahren absehbare Auswirkung der Rechtsfolgenentscheidung von besonderem Gewicht.

[…]

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